Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe B: Brücken- und Ingenieurbau
77
Die gegenwärtigen DIN-Fachberichte basieren auf den ENV-Fassungen der Eurocodes unter Berücksichtigung der nationalen Regelungen. Bis zur Einführung der Europäischen Normen mit den zugehörigen Nationalen Anwendungsdokumenten werden in Deutschland Brücken auf der Grundlage der DIN-Fachberichte 101 "Einwirkungen auf Brücken", 102 "Betonbrücken", 103 "Stahlbrücken" und 104 "Verbundstahlbrücken" in den Ausgaben 03:2009 berechnet, bemessen und konstruiert. Aus der Anwendung der DIN-Fachberichte für den Brückenbau seit 2003 liegen überwiegend positive Erfahrungen vor. Mit ihrer Anwendung wurde ein hoher Qualitätsstandard sicher gestellt. Insgesamt soll mit der Einführung der EN-Normen das bisher in Deutschland erreichte hohe Qualitätsniveau im Brückenbau gehalten werden. Das Schwerverkehrsaufkommen auf den Straßen in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten überproportional angewachsen, und auch für die Zukunft werden weitere Steigerungen prognostiziert. Die Festlegungen aktueller Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken beruhen auf Messungen aus der Mitte der 1980er Jahre. Im Vergleich dazu wurde durch neuere Verkehrserfassungen eine Verdopplung des Schwerverkehrsaufkommens festgestellt. Aus diesem Grund war es erforderlich, die Verkehrslasten auf Straßenbrücken hinsichtlich des aktuellen und des zukünftigen Schwerverkehrs zu überprüfen und anzupassen. Mit der geplanten Einführung der Eurocodes im Brückenbau werden im Vergleich zu den derzeitigen Regelwerken neben Änderungen bei den Straßenverkehrslasten auch Anpassungen zu den jeweiligen Eurocodes für die Bemessung von Brücken vorgeschlagen, um das gebotene Sicherheitsniveau einerseits sowie die Wirtschaftlichkeit andererseits zu wahren. Im Rahmen mehrerer Forschungsvorhaben wurden die Auswirkungen dieser Änderungen für Beton-, Stahl- und Stahlverbundbrücken untersucht.
83
Die für die Bemessung von Neubauten maßgebenden DIN-Fachberichte mit dem darin enthaltenen Sicherheitskonzept sind nicht geeignet, die tatsächliche Tragsicherheit bestehender älterer Spannbetonbrücken zu beurteilen. Die seinerzeit für die Bemessung und Konstruktion gültigen Normen wurden sowohl was die Einwirkungsseite als auch was die Widerstandsseite betrifft ständig weiterentwickelt und an neue hinzugewonnene Erkenntnisse angepasst. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass sich bei der Nachrechnung älterer Bestandsbrücken auf der Grundlage neuerer Normen die höhere Anforderungen beinhalten, häufig keine Nachweise mit normgemäßen Sicherheitsfaktoren führen lassen. Im Rahmen des FE-Vorhabens wurde objektbezogen an zwei Brücken untersucht, welche möglichen Tragreserven sich unter Einbeziehung des Entwurfs der Nachrechnungsrichtlinie identifizieren lassen. Die betrachteten Talbrücken Lützelbach (Hohlkasten) und Volkersbach (Plattenbalken) waren zuvor bereits normgemäßen Nachrechnungen unterzogen worden, bei denen sowohl im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit, wie auch im Grenzzustand der Tragfähigkeit Defizite festgestellt wurden. Unter anderem wurden gegenüber dem für Neubauten konzipierten Sicherheitskonzept modifizierte Teilsicherheitsbeiwerte für die Besonderheiten bei der Nachrechnung des Bestands in Ansatz gebracht. Für die realitätsnahe Ermittlung der jeweiligen Tragwiderstände wurden alternative und genauere Verfahren auf ihre Eignung hin untersucht und in Ansatz gebracht. Die Tragwerke wurden in größerem Umfang als allgemein üblich auf Umlagerungsmöglichkeiten und Systemredundanzen hin untersucht. Insgesamt kann festgestellt werden, dass bei Anwendung eines für die Nachrechnung bestehender Bauwerke angepassten Sicherheitskonzepts und geeigneter alternativer Nachweisverfahren, Tragreserven bei den beiden betrachteten Brückenbauwerken identifiziert und genutzt werden können. Die bei normgemäßen Nachrechnungen festgestellten Defizite konnten in weiten Bereichen reduziert oder sogar ganz aufgehoben werden. Ein hoher Aufwand bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke scheint zielführend und gerechtfertigt, vor allem wenn sich dadurch der noch höhere Aufwand für Planung und Ausführung von Verstärkungsmaßnahmen vermeiden lässt.
81
Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte beim Bau und der Unterhaltung von Brückenbauwerken erfordern ein effektives Lebenszyklusmanagement. Ein wesentliches Ziel besteht dabei in der zuverlässigen Prognose der Schadensentwicklung. Die Kenntnis über Mechanismen und Auswirkungen einzelner dauerhaftigkeitsrelevanter Beanspruchungen bzw. Schädigungsarten ist relativ weit fortgeschritten. Demgegenüber ist das Wissen über die Wirkungsweise kombiniert auftretender Beanspruchungen an Betonbauwerken bislang unzureichend. Dies gilt auch für den Fall, dass gleichzeitig singuläre Risiken, wie beispielsweise Ausführungsmängel oder Lagerschäden vorliegen. Gerade aber kombinierte Einwirkungen und bereits vorhandene Mängel sind für massive Schäden an Brücken maßgeblich verantwortlich. Diese Problematik wurde im Rahmen der vorliegenden Machbarkeitsstudie eingehend beleuchtet. Zunächst wurden im Rahmen einer umfangreichen Literatursichtung die vorhandenen dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen auf Brücken identifiziert sowie deren mögliche Modellierung in Form von Schädigungs-Zeit-Gesetzen aufgezeigt und eingehend diskutiert. In einem nächsten Schritt konnten die bei Brückenbauwerken vorzufindenden Interaktionen zwischen den kombiniert auftretenden dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen und singulären Risiken auf der Basis einer Literatursichtung erfasst und in Form einer Interaktionsmatrix anschaulich dargestellt werden. Die verschiedenen Methoden zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von Betonkonstruktionen wurden aufgezeigt sowie die Grundzüge einer System- und Risikoanalyse vorgestellt. Anhand ausgewählter Bespiele aus der Fachliteratur wurde die prinzipielle Vorgehensweise bei unterschiedlichen Methoden zur Dauerhaftigkeitsbeurteilung dargestellt. Besondere Beachtung galt dabei dem aktuellen Stand der Forschung im Umgang mit kombiniert auftretenden Einwirkungen. Im Ergebnis der umfangreichen Literaturstudie konnte festgestellt werden, dass kombinierte Einwirkungen als Problem im Bereich des Betonbrückenbaus bekannt sind, ihre Erfassung und Modellierung jedoch weder zeitvariante Schädigungs-Zeit-Gesetze noch baustofftechnologische Interaktionen berücksichtigen. Auf der Grundlage der in der Literatur gewonnenen Erkenntnisse wurde ein Ansatz für eine um diese beiden entscheidenden Punkte erweiterte System- und Risikoanalyse erarbeitet. Dieser Ansatz besteht darin, über die Verwendung geeigneter Schädigungs-Zeit-Gesetze und grenzzustandsbezogener Betrachtungen Lebensdauerprognosen durchzuführen. Hierdurch wird eine wirklichkeitsnahe Beurteilung der Dauerhaftigkeit möglich. Die Interaktion der Schädigungsmechanismen wird über einen Faktor η, der die baustofftechnologischen Veränderungen des Betons infolge einer anderen Einwirkung berücksichtigt, in das Modell aufgenommen. Das erarbeitete Konzept wurde durch exemplarische, computergestuetzte Beispielrechnungen hinsichtlich seiner Anwendbarkeit bestätigt. Bis zur Praxiseinführung dieser Methode bedarf es jedoch noch umfangreicher Ausarbeitungen und gezielter weiterführender Forschung.
79
Untersuchungen zur Querkraftbemessung von Spannbetonbalken mit girlandenförmiger Spanngliedführung
(2011)
Die Literaturrecherche zeigte, dass seit Beginn der Spannbetonbemessung der innere Hebelarm z auf der Grundlage von Annahmen bestimmt wird, die zum Teil stark variieren. Dies liegt vor allem daran, dass die Querkraftbemessung ursprünglich an Stahlbetonbauteilen hergeleitet wurde. Für Spannbetonbauteile wird in der Literatur ein Hebelarm von z=0,67d bis z=0,90d vorgeschlagen. Alle Quellen sind sich darüber einig, dass der Querkrafttraganteil der geneigten Spannglieder zu berücksichtigen ist. Des Weiteren sind Unterschiede in den aktuellen Normen zu finden. Während im DIN FB 102 im Allgemeinen der innere Hebelarm z aus dem Nachweis im GZT infolge Biegung mit oder ohne Längskraft im gleichen Querschnitt aus dem zugehörigen Moment verwendet werden soll, wird in der DIN 1045-1 nichts dergleichen erwähnt, sondern es darf z=0,9d angesetzt werden, sofern eine ausreichende Längsbewehrung aus Betonstahl vorhanden ist. Der EC 2 erlaubt hingegen den inneren Hebelarm z aus dem maximalen Biegemoment im betrachteten Bauteil zu berechnen. In einigen Literaturquellen, so auch im EC 2 wird außerdem gefordert, dass bei Bauteilen mit geneigten Spanngliedern ausreichend Betonstahllängsbewehrung im Zuggurt einzulegen ist. Die Auswertung der Stuttgarter Versuche zeigte, dass bei der Frage nach dem korrekten Ansatz für z zwei Bereiche zu unterscheiden sind. In dem Bereich, in dem die Schubrisse aus Biegeanrissen am Querschnittsrand entstehen ändert der Schubriss auf Höhe der Spannglieder seine Neigung. Die Änderung des Neigungswinkels ist abhängig von den Steifigkeitsverhältnissen der Zugbänder. Für diesen Bereich wird ein Ansatz vorgeschlagen, bei dem die Querschnittsflächen des Spannstahls Ap und Betonstahl As mit den für den Schub maßgebenden Spannungen gewichtet werden. Der Bereich, in dem die Spannglieder überdrückt sind und die flacher verlaufenden Schubrisse ohne Neigungswechsel kurz über die Spannglieder hinweg verlaufen, erstreckt sich horizontal vom Auflager bis zu ca. 1,5h. Hier wird das Stegfachwerk wesentlich entlastet durch den Druckbogen, der sich bei den hier untersuchten Trägern aufgrund der sehr schwachen schlaffen Zuggurtbewehrung zusammen mit der sich bis zum Auflager durchlaufenden Druckstrebe fast ausschließlich auf den Spannanker abstützt. Die Größe der gegebenenfalls erforderlichen schlaffen Zuggurtbewehrung für die Abdeckung der Zugkraft am Auflager muss noch untersucht werden.