Berichte der Bundesanstalt für Straßen- und Verkehrswesen, Reihe M: Mensch und Sicherheit
Filtern
Erscheinungsjahr
Dokumenttyp
- Buch (Monographie) (220)
- Konferenzveröffentlichung (4)
- Bericht (3)
Sprache
- Deutsch (227) (entfernen)
Volltext vorhanden
- ja (227) (entfernen)
Schlagworte
- Deutschland (144)
- Germany (141)
- Forschungsbericht (128)
- Research report (122)
- Unfall (58)
- Safety (56)
- Sicherheit (54)
- Accident (52)
- Verhalten (38)
- Behaviour (36)
Institut
355
Das Forschungsprojekt FP 87.0016/2019 „Versorgung von Straßenverkehrsunfällen durch den Rettungsdienst“ hat das Ziel, Verkehrsunfälle und ihre Folgen statistisch zu erheben und zu analysieren. Im Zentrum stehen dabei Straßenverkehrsunfälle, zu denen der öffentliche Rettungsdienst gerufen wurde. Zur Analyse wurden Leitstellendokumentationen (= Leitstellendatensätze) mit den rettungsdienstlichen Angaben in Form von medizinischen Scores zur Verletzungsschwere herangezogen und um weitere infrastrukturelle Merkmale (z. B. Straßenklasse, Kurve) ergänzt. Weiterhin sollen durch ein Matching der Daten des Rettungsdienstes mit dem Unfallatlas Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche Überschneidungen und Differenzen es hinsichtlich der Erfassung von Unfällen durch die Polizei und der Versorgung von Unfallopfern durch den Rettungsdienst gibt. An der Untersuchung haben sich zehn Erfassungsstellen des Rettungsdienstes beteiligt. Durch diese werden ca. 2,8 % der Fläche des Bundesgebiets und ca. 3,2 % der deutschen Bevölkerung abgedeckt.
Als Untersuchungsjahr wurde das Kalenderjahr 2020 herangezogen. Es standen insgesamt 8.831 Leitstellendatensätze auf Personenebene (Verkehrsunfallopfer) für die Analysen zur Verfügung, die auf Ereignisebene aggregiert insgesamt 6.010 Rettungsdiensteinsätze zu Verkehrsunfällen ergeben haben. Hinsichtlich der amtlichen Unfalldaten wurde auf die öffentlich zugänglichen Informationen des Unfallatlas (Bezugsjahr 2020) zurückgegriffen (UNFALLATLAS 2022). Insgesamt wurden für die Erfassungsgebiete 7.004 Verkehrsunfälle aus dem bundesweiten Datensatz festgestellt. Die Verortung der durch den Rettungsdienst erfassten Unfälle erfolgte mit der OpenSource-Datenbank OpenStreetMap. Das bundesweite Straßennetz wurde hiermit nachgebildet. Ein Vergleich der Längenstatistiken mit den Kennzahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigt deren Validität. Neben den amtlichen Straßenklassen wurde das Straßennetz mit Angaben zur Ortslage und zu weiteren Straßenkategorien wie z. B. „Kreuzung“ oder „Kurve“ erweitert. Insgesamt erfolgten innerorts 5.567 (63 %) Rettungsdiensteinsatzfahrten zu Verkehrsunfällen, 2.561 (29,0 %) Einsatzfahrten außerorts und 703 (7,9 %) Einsatzfahrten auf Autobahnen. Rund die Hälfte (48,3 %) dieser Einsatzfahrten weist eine Gemeindestraße als Einsatzort auf, rund ein Viertel (24,3 %) eine Landesstraße sowie weitere 14,3 % eine Bundesstraße und 10,3 % eine Kreisstraße. Eine Auswertung der zusätzlichen Straßenkategorien zeigt, dass 44,4 % der Verkehrsunfälle in Kreuzungen und 35,6 % in Kurven zu verorten sind. Auf Grundlage eines Gewichtungsverfahrens wurde die Repräsentativität der Erfassungsgebiete hinsichtlich seiner räumlichen Struktur geprüft. Abweichungen unter einem Prozentpunkt legen nahe, dass die räumliche Struktur der Erfassungsgebiete und damit die Unfälle und Unfallfolgen, die sich hier ereignet haben, repräsentativ für das Bundesgebiet sind. Es ist daher davon auszugehen, dass die Verteilung der Verletzungsschwere von Verkehrsunfallopfern in den Erfassungsgebieten die Verteilung auf Bundesebene annähernd repräsentativ abbilden kann. Die Analyse von Geschlecht und Alter der bereinigten Leitstellendokumentation ergibt, dass 3.335 (61,7%) der Verkehrsunfallopfer männlich und 2.607 (38,3%) weiblich sind. Das mittlere Alter der Männer beträgt 40,9 Jahre (SD = 21,3 Jahre), das der Frauen 42,0 Jahre (SD = 20,9 Jahre).Die vertiefte Analyse der Verletzungsschwere nach Geschlecht und den räumlich zugeordneten Straßenabschnitten zeigt bei amtlichen Straßenklassen sowie nach Ortslage für Leicht- und Schwerverletzte mit Werten zwischen 57 % und 64 % eine eher geringe Variation der Anteile. Größere Variationen lassen sich bei Leicht- und Schwerverletzten jedoch bei Kreuzungsbereichen mit Anteilen zwischen 28 % und 41 % feststellen. Die Ergebnisse des Matchings aus Leitstellendokumentation und Unfallatlas zeigen, dass von 6.010 Verkehrsunfällen in der Leitstellendokumentation 3.208 (53 %) gematcht und 2.802 (47 %) nicht gematcht werden konnten. Von 7.004 Verkehrsunfällen im Unfallatlas konnten 3.208 (45 %) gematcht und 3.769 (55 %) nicht gematcht werden. Eine Gegenüberstellung der Verletzungskategorien nach Einstufung durch den Rettungsdienst und durch die Polizei ergibt eine Übereinstimmungsrate von 100 % bei getöteten Verkehrsunfallopfern, 66,4 % bei Schwerverletzten und 72,8 % bei Leichtverletzten. Festzustellen ist des Weiteren, dass 116 (28 %) rettungsdienstlich eingestufte Schwerverletzte im Unfallatlas „nur“ einem Unfall mit Leichtverletzten zugeordnet sind. Ebenfalls zeigt sich in rund einem Viertel der Fälle eine höhere Einstufung durch die Polizei bzw. im Unfallatlas als durch den Rettungsdienst gegeben ist. Von besonderem Interesse sind in der Teilmenge „Matching“ die Gruppe der als amtlich schwerverletzt eingestuften Verunglückten, die aufgrund der amtlichen Definition sehr heterogen ist. Durch die medizinischen Daten des Rettungsdienstes kann diese Gruppe spezifiziert werden und es können Zusammenhänge zwischen medizinischen Unfallfolgen und bestimmten Unfallkonstellationen eruiert werden. Als Fazit des Projekts kann festgehalten werden, dass mit der neu entwickelten Methodik zur Verortung von Einsätzen des Rettungsdienstes ein Mehrwert erzielt werden kann sowohl für den Rettungsdienst als auch für die Analyse der amtlichen Unfalldaten.
Durch die Datenverknüpfung (Matching) können Hinweise zu einer möglichen Untererfassung oder Nachdokumentation von Unfällen seitens der Polizei und auch zur Qualität der Einstufung der Unfallschwere gewonnen werden. Hinsichtlich der amtlich als schwerverletzt klassifizierten Unfallopfer ist eine dezidierte Analyse bezüglich medizinischer Parameter im Sinne der Verkehrssicherheitsarbeit und Maßnahmenentwicklung zielführend. Für die Fortführung der in diesem Projekt erzielten Ergebnisse wird insbesondere die flächendeckende, verbindliche, vollständige und einheitliche Aufnahme des DIVI-Notfall-Protokolls in die Routinedaten der Leitstellen als vielversprechend angesehen, da hier räumliche, zeitliche, medizinische und weitere unfallbezogene Informationen zusammen erhoben werden.