Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe F: Fahrzeugtechnik
Filtern
Schlagworte
- Fahrzeugführung (9) (entfernen)
Institut
- Sonstige (6)
- Abteilung Fahrzeugtechnik (2)
83
Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung : gemeinsamer Schlussbericht der Projektgruppe
(2012)
Die BASt-Projektgruppe "Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung" hat über die heute verfügbaren Fahrerassistenzsysteme hinaus drei verschiedene Automatisierungsgrade identifiziert und begrifflich definiert: Teil-, Hoch- und Vollautomatisierung. Aus verhaltensrechtlicher Sicht haben sich als wesentliche Unterscheidungsmerkmale verschiedener Automatisierungsgrade die auf das Verkehrsgeschehen fokussierte Aufmerksamkeit des Fahrers und seine ständige Möglichkeit zur Fahrzeugsteuerung herausgestellt. Im Fall der "Teilautomatisierung" ist die Aufmerksamkeit des Fahrers ständig auf das Verkehrsgeschehen gerichtet und er hat aufgrund der permanent von ihm durchzuführenden Systemüberwachung die Möglichkeit zur Fahrzeugsteuerung, so dass dieser Automatisierungsgrad den aktuellen verhaltensrechtlichen Anforderungen entspricht. Die verhaltensrechtlich geforderte Aufmerksamkeitskonzentration auf das Verkehrsgeschehen und die möglicherweise fehlende Möglichkeit zur Fahrzeugsteuerung stehen jedoch der Nutzung höherer Automatisierungsgrade (Hoch- und Vollautomatisierung) derzeit entgegen. Ihre Nutzung ist gegenwärtig nicht mit dem Verhaltensrecht vereinbar, da der menschliche Fahrzeugführer gegen seine Pflichten verstieße, wenn er sich vollständig auf das System verlassen würde. Soweit ein Automatisierungsgrad zugleich eine freihändige Fahrzeugsteuerung vorsieht, bedürfte es der verhaltenspsychologischen Untersuchung, inwieweit dies den Fahrer in der Ausübung ständiger Vorsicht im Sinne von -§ 1 Abs. 1 StVO zu beeinträchtigen vermag. Hinsichtlich der Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz erscheint die Beweislastverteilung im Rahmen von -§ 18 Abs. 1 S. 2 StVG in den Fällen höherer Automatisierungsgrade (Hoch- und Vollautomatisierung) nicht mehr sachgerecht, soweit dem Fahrer in verhaltensrechtlicher Hinsicht die Ausrichtung seiner Aufmerksamkeit auf andere Tätigkeiten als die konventionelle Fahraufgabe ermöglicht wird. Die Regelungen zur Haftung des Fahrzeughalters bleiben bei allen Automatisierungsgraden weiterhin anwendbar. In Bezug auf die Produkthaftung zeigt sich im Fall der vollständig fahrerüberwachten Teilautomatisierung die Bedeutung der Systemgrenzen. Produkthaftungsrechtlich gewinnt hier die Einordnung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs wesentlich an Bedeutung. Zur Absicherung dieses bestimmungsgemäßen Gebrauchs ist die nachhaltige Beeinflussung der Verkehrserwartung beim Benutzerkreis entscheidend, soweit nicht primär konstruktive Möglichkeiten nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zur Verfügung stehen, um unberechtigtes Systemvertrauen auszuschließen. Bei den höheren Automatisierungsgraden, die nicht mehr der Fahrerüberwachung bedürfen (unter der Annahme, ihre Nutzung wäre verhaltensrechtlich möglich), wäre jeder Schaden, der nicht auf ein Fehlverhalten Dritter oder eine Übersteuerung des Fahrers zurückzuführen ist, geeignet, Herstellerhaftung auszulösen. Diesbezüglich spielt die Darlegungs- und Beweislast eine wesentliche Rolle. Sowohl auf Grund der offenen Fragen in der rechtlichen Bewertung als auch übergreifend zur Verbesserung technischer Ausgangsbedingungen sowie der Gebrauchssicherheit wird von der Projektgruppe weiterer Forschungsbedarf zur Fahrzeugautomatisierung formuliert.
115
Statischer und dynamischer Fahrsimulator im Vergleich: Wahrnehmung von Abstand und Geschwindigkeit
(2016)
Die Methodik der experimentellen Fahrsimulation gewährleistet sichere Anwendungsforschung unter hoher Kontrollierbarkeit. Obwohl gegenwärtig viele Forschungsfragen in virtuellen Umgebungen beantwortet werden, existieren weder systematische Validierungsszenarien für Fahrsimulatoren, noch wurde die Vergleichbarkeit der Aussagekraft von Befunden aus Fahrsimulatoren mit und ohne Bewegungssystem bislang angemessen hinterfragt. Daher sollen in der vorliegenden Studie ein statischer und ein dynamischer Fahrsimulator hinsichtlich ihrer Validität in verschieden Fahrsituationen verglichen werden, wobei der Schwerpunkt auf Abstands- und Geschwindigkeitswahrnehmung liegt. Es wird erwartet, dass ein zusätzliches Bewegungssystem nur bei Fahraufgaben mit dynamischer Involvierung einen Redundanzgewinn für die Wahrnehmung des Fahrers liefert. Werden hingegen konstante Abstände eingehalten, sollten entsprechend der Hypothese beide Prüfumgebungen äquivalente Resultate zeigen. Insgesamt durchfuhren 60 Probanden Fahrszenarien zur Abstandsherstellung und -einschätzung, teils mit Okklusion, sowie Folgefahrten mit Beschleunigung und Verzögerung. Die Querführung wurde mithilfe einer Gassendurchfahrt untersucht. Indem die virtuelle Umgebung nach Vorbild einer real existierenden Teststrecke konstruiert wurde, kann ebenfalls auf reale Referenzwerte Bezug genommen werden. Die Ergebnisse weisen auf eine vergleichbare relative Validität zwischen statischem und dynamischem Simulator hin, wenn keine Kinetik in der Fahraufgabe vorhanden ist. In Beschleunigungssituationen bewirkt simulierte Fahrdynamik signifikante Wahrnehmungseinbußen, wobei das Bewegungssystem in Bremssituationen die Wahrnehmung signifikant unterstützt. In dem Querführungsszenario ist die Fahrgeschwindigkeit im statischen Simulator zwar signifikant höher und damit näher an der realen Referenz, allerdings wird im statischen Simulator eine auffällig nach rechts versetzte Spur gehalten. Dennoch, so der vorrangige Befund, sollte auch ein statischer Fahrsimulator valide Evaluationen für die meisten Fahraufgaben gewährleisten.
46
Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat das Fachgebiet Fahrzeugtechnik der Technischen Universität Darmstadt (fzd) damit beauftragt, die Bremsung des Motorradfahrers mit verschiedenen Kraftradbremssystemen zu untersuchen. Die Bremsung ist eines der am schwierigsten zu beherrschenden Motorradfahrmanöver. Dem Fahrer als Regler zweier unabhängig voneinander bedienbarer Bremskreise wird die Regelaufgabe zusätzlich erschwert durch die latente Sturzgefahr eines kreiselstabilisierten Einspurfahrzeugs. Hinzu kommen das ungünstige, die Gefahr eines Bremsüberschlags begünstigende Verhältnis von Schwerpunkthöhe zu Radstand und die meist hohen Bremskräfte bereits bei niedrigen Bedienkräften. Weitere fahrwerkabhängige Parameter wie die Lage des Nickpols beeinflussen den zeitlichen Ablauf der Radlastverschiebung während der für die Erzielung eines geringen Bremswegs besonders wichtigen Anfangsphase der Bremsung. Trotz dieser für den Fahrer als Regler ungünstigen Voraussetzungen hat sich am Grundkonzept der im größten Teil der Motorradpopulation verbauten Standardbremse mit getrennter Bedienung von Vorderrad- und Hinterradbremse seit Beginn des letzten Jahrhunderts nichts geändert. Aufgabe der vorliegenden Forschungsarbeit ist es, Anforderungen an Bremssysteme, mit denen der Motorradfahrer sichere Bremsungen mit kurzen Bremswegen reproduzierbar erreichen kann, zu formulieren. Dazu wurden Testpersonen Bremsaufgaben mit den fünf verschiedenen Bremssystemen Standard- und Kombibremse jeweils mit und ohne ABS sowie blockiergeschützte Kombibremse mit Einhebel-Bedienung gestellt und die erzielten Bremswege sowie Belastungs- und Beanspruchungsgrößen des Fahrers aufgezeichnet. Die Versuche zeigen folgende Ergebnisse: Die erzielten Bremswege sind mit ABS kürzer als ohne, was vor allem auf die Unterschiede in der Anfangsphase einer Bremsung zurückgeführt werden kann. Die während dieser Anfangsphase verstreichende Zeit steigt bei Bremsungen ohne ABS überproportional mit der Ausgangsgeschwindigkeit. Dies gilt auch und vor allem für die Kurvenbremsung. Ein signifikanter Unterschied zwischen Standard- und Kombibremse konnte nicht festgestellt werden. Die Bedienung einer blockiergeschützten Kombinationsbremse mit nur einem Bremshebel zeigt keinerlei Nachteil gegenüber einer konventionellen Zweihebel-Bedienung. Bei Bremsungen ohne ABS stieg die als Beanspruchungsgröße herangezogene Herzschlagfrequenz deutlich stärker an als bei Bremsungen mit ABS. Auch der Muskeltonus des Flexor Digitorum Superficialis, eine Belastungsgröße, liegt wie auch andere Belastungsgrößen aufgrund der mit einer höheren mentalen Beanspruchung einhergehenden Muskelanspannung bei Bremsungen ohne ABS deutlich höher als bei Bremsungen mit ABS. Die während des Versuchsbetriebs aufgetretenen Stürze fanden erwartungsgemäß nur bei Bremsungen ohne ABS statt. Es können folgende Empfehlungen für zukünftige Kraftradbremssysteme abgeleitet werden: ABS sollte bei Einspurfahrzeugen möglichst flächendeckend Verwendung finden; dabei kann es abschaltbar gestaltet werden. Beim Vorhandensein einer blockiergeschützten Kombibremse ist ein Bedienelement ausreichend; dies sollte der Handbremshebel sein. Eine Überschlagregelung blockiergeschützter Bremsen ist notwendig, bestehende Überschlagregelungen müssen verbessert werden. Der Originalbericht enthält als Anhang den Test zur Ermittlung der Fahrerfahrung. Auf die Wiedergabe dieses Anhanges wurde in der vorliegenden Veröffentlichung verzichtet. Der Test liegt bei der Bundesanstalt für Straßenwesen vor und ist dort einsehbar. Verweise auf den Anhang im Berichtstext wurden beibehalten.
47
Fahrerinformations- und Fahrerassistenzsysteme (FIS/FAS), die während der Fahrt zusätzliche, den Fahrer entlastende Funktionen anbieten, können durch damit verbundene Bedienvorgänge Aufmerksamkeit beanspruchen und in der Folge durch visuelle Ablenkung und mentale Beanspruchung unerwünschte sicherheitsrelevante Veränderungen des Fahrverhaltens hervorrufen. Allerdings stellt die Interaktion mit Fahrerinformationssystemen bei fortschreitender Übung zunehmend geringere Aufmerksamkeitsanforderungen. Dieser Effekt des Kompetenzerwerbs ist bei der Beurteilung der sicherheitskritischen Fahrerbeanspruchung zu beachten. In einem Fahrversuch wurde die Veränderung von Ablenkungswirkungen als Folge des Kompetenzerwerbs in der Bedienung von Fahrerinformationssystemen untersucht. Als Aufgabe wurde die Zieleingabe in ein Navigationssystem gewählt. Zwei Navigationssysteme mit unterschiedlichen Mensch-Maschine-Schnittstellen wurden dabei eingesetzt. Mit denselben Systemen wurden in weiteren Trainingsstudien Daten zum Kompetenzerwerb für drei Altersgruppen erhoben. Als Methode zur kondensierten Beschreibung der Kompetenzerwerbsverläufe wurde die Schätzung von Potenzfunktionsparametern verwendet. Aufgrund unterschiedlicher Bedienelemente und abweichend konzipierter Eingabedialoge führten die Systeme wie erwartet zu deutlichen Unterschieden in der Fahrerbeanspruchung. Auch der Lernverlauf von Fahrern mittleren Alters und von älteren Fahrern wich erheblich voneinander ab. Jüngere Fahrer erreichten deutlich kürzere Bearbeitungszeiten mit beiden Systemen. Auswertungen des Blickverhaltens im Fahrversuch ergaben umfangreiche Datensätze zur visuellen Ablenkung in verschiedenen Fahrbedingungen. Der Kompetenzerhalt nach einigen Monaten war außer in der Gruppe älterer Fahrer fast vollständig. Es war kein Transfer zwischen den deutlich verschiedenen Systemen festzustellen. Die Schätzung von Potenzfunktionsparametern hat sich insgesamt als Methode zur Beschreibung des Kompetenzerwerbs bewährt. In einer weiteren Studie wurde die erste Phase des Kompetenzerwerbs für vier unterschiedliche Navigationssysteme mit der Okklusionsmethode untersucht, die als Bewertungsverfahren der visuellen Beanspruchung durch Fahrerinformationssysteme vorgeschlagen ist. Die Projektstudien leisten damit auch einen Beitrag zur Methodenentwicklung und zur Einschätzung der sicherheitsrelevanten Auswirkungen von Fahrerinformationssystemen.
95
Unfälle im Straßenverkehr sind in aller Regel Konsequenzen normalen Fahrverhaltens, das an eine bestimmte Situation nicht angepasst war und daher zum Unfall beigetragen hat. Zur Klassifikation dieses mutmaßlich fehlerbehafteten Verhaltens wurde im hier berichteten Projekt eine Taxonomie entwickelt. Sie dient der Klassifizierung von Fahrerfehlverhalten und integriert Aspekte des menschlichen Informationsverarbeitungsprozesses sowie die drei Fehlertypen von RASMUSSEN (1983). Als Bestimmungsstücke beinhaltet die Taxonomie Fehlertypen (regel-/wissens-/fertigkeitsbasiert) und Entscheidungsknoten mit Fragen, deren Beantwortung den Analysten zum jeweiligen Fehler führt. Zusammengefasst bietet die erarbeitete Taxonomie eine breite Anwendbarkeit für die Klassifikation von Fahrfehlern und fehlerfreiem Verhalten bei Manövern, kritischen Situationen bis hin zu Beinaheunfällen oder Unfällen, z. B. zur Harmonisierung der (Video-)Auswertung von FOT- und NDS-Datensätzen oder für In-Depth-Unfallerhebungen. Die Taxonomie wird komplementiert durch eine Übersicht über Fehlervorläuferbedingungen, die im Sinne von Genotypen (HOLLNAGEL 1998) in ihrer jeweiligen Ausprägung auslösende und begünstigende Bedingungen für Fehler, Beinaheunfälle und Unfälle darstellen. Die Übersicht ist als erweiterbares strukturierendes Dokument zu sehen, welches je nach wissenschaftlichen Erkenntnissen verändert werden kann. Gemeinsam mit der Taxonomie bildet sie die Basis für die Ableitung von Fahrerassistenzbedarf und andere Maßnahmen, zur Generierung von Hypothesen und zur strukturierten Sammlung von Studienergebnissen. Der vorliegende Bericht adressiert die FOT- und NDS-Community sowie allgemein verkehrspsychologisch-wissenschaftlich Interessierte. In acht Kapiteln widmet er sich den Arbeitsschritten und Ergebnissen der Taxonomieentwicklung.
100
Das wesentliche Ziel des Projekts war es, Kennwerte des Reaktionsverhaltens in sicherheitskritischen Situationen zu erheben. Weiter sollten Rahmenbedingungen für eine standardisierte Erhebung dieses Reaktionsverhaltens erarbeitet werden. Dies kann vor allem als Basis für die Auslegung und Untersuchung der Wirkung von Fahrerassistenzsystemen genutzt werden. Zu diesem Zweck wurden drei Untersuchungen in einem statischen Fahrsimulator durchgeführt, die sich vom Kontext (Stadt: 50 km/h, Landstraße: 100 km/h, Autobahn: 130 km/h) unterschieden. Zur Validierung fand ein vergleichbarer Realversuch im Stadtbereich statt. Dabei wurde jeweils der Einfluss der Umgebung, der Erwartung und von kognitiver Ablenkung auf die Art der Reaktion (Lenken, Bremsen, kombinierte Reaktionen) und die Reaktionszeiten untersucht. An der Untersuchung nahmen insgesamt 131 Fahrer im mittleren Altersbereich zwischen 20 und 40 Jahren teil wobei etwa die Hälfte weiblich war. In den kritischen Situationen tauchte entweder ein Fußgänger oder stehendes Fahrzeug plötzlich vor dem eigenen Fahrzeug auf oder ein Führungsfahrzeug bremste unerwartet stark. Beim Vergleich von Realfahrt und Simulator zeigte sich eine hohe Validität der Simulatorergebnisse. Die Wahl des Fahrmanövers hing maßgeblich von der zur Verfügung stehenden Zeit und dem Ausweichraum ab. Bremsreaktionszeiten lagen zwischen 1.0 (Stadt) und 1.1 (Autobahn) Sekunden, Lenkreaktionszeiten zwischen 0.7 (Stadt) und 1.3 (Autobahn) Sekunden. Bei der Folgefahrt verlängerte sich die Reaktionszeit um etwa 0.2-0.3 Sekunden. Ein Einfluss der kognitiven Ablenkung war nicht nachzuweisen. Dagegen fanden sich deutliche Lerneffekte, was zu einer Verkürzung der Reaktionen um 0.2-0.4 Sekunden führte. Aus den Ergebnissen lässt sich ein Set von 9 Situationen definieren, mit denen man unterschiedliche Arten von Reaktionen und die durch die situativen Bedingungen beeinflussten Reaktionszeiten untersuchen kann.
96
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen alternativer Antriebskonzepte auf die Fahrdynamik von Pkw. Es werden einleitend die konventionellen und alternativen Antriebskonzepte sowie Unterschiede in Hinblick auf die Fahrdynamik herausgearbeitet. Die Ergebnisse einer Recherche zur Fahrwerksentwicklung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen zeigen keine klaren Trends zu neuartigen oder geänderten Fahrwerkskonzepten, sodass auf eine getrennte Betrachtung von Fahrwerken für Fahrzeuge mit konventionellen und alternativen Antrieben verzichtet werden kann. Die erarbeiteten Unterschiede zwischen konventionellen und alternativen Antrieben zeigen, dass die Möglichkeit der Rekuperation von Hybrid- und E-Fahrzeugen insbesondere bei kombinierten Längs- und Querkräften zu deutlichen Auswirkungen auf die Fahrdynamik führen kann. Im nächsten Schritt werden daher Fahrmanöver zusammengestellt und in Bezug auf die Relevanz für die Rekuperation analysiert. Dabei erweist sich das nach DIN ISO 7975 genormte Fahrmanöver "Bremsen im Kreis" als zielführend, die Auswirkungen der Rekuperation auf die Fahrdynamik zu analysieren. Außerdem wird das Fahrzeugverhalten bei einer Geradeausbremsung und folgender Lenkanregung sowie bei einer Bremsung auf μ-Split untersucht, da auch hier Wechselwirkungen von Antrieb und Fahrwerk auftreten. Zur Beurteilung der Ergebnisse wird neben der Fahrstabilität auch die Wahrnehmbarkeit eines geänderten Fahrverhaltens betrachtet. Anhand einer Literaturrecherche wurde für die Giergeschwindigkeit ein Schwellwert von 3-°/s für die Wahrnehmbarkeit gefunden. Die Ergebnisse einer Simulationsstudie mit zwei Fahrzeugkonzepten (Front-/Heckantrieb) in den drei genannten Fahrmanövern zeigen, dass die Rekuperation in weiten Bereichen der Längsverzögerungen sinnvoll eingesetzt werden kann. Bei der Bremsung in der Kurve führt die Rekuperation an der Vorderachse zu einer deutlichen Reduzierung störender Fahrzeugreaktionen und kann auch bei höheren Querbeschleunigungen verwendet werden. Bei der Rekuperation an der Hinterachse kann es insbesondere auf Niedrigreibwerten bei Bremsungen in der Kurve zu kritischen Fahrzuständen kommen. Durch die Begrenzung des Rekuperationsmomentes bei großen Schlupfwerten kann die Stabilität des Fahrzeugs jedoch sichergestellt werden. Auch die Ergebnisse der Simulationen der anderen Fahrmanöver zeigen, dass bei geringen Schlupfwerten keine wahrnehmbaren fahrdynamischen Unterschiede festzustellen sind.
74
Ziel der Studie war es, die Auswirkungen des Fahrens mit Tempomat auf das Fahrverhalten zu untersuchen. Tempomaten haben in Deutschland eine relativ große Verbreitung, die insgesamt bei 10 bis 20 % der Fahrzeuge liegt, in der Oberklasse sogar bei 50 %. Studien, mit denen man die Auswirkungen des Tempomaten auf das Fahrverhalten bewerten kann, liegen bislang nicht vor. Relativ gut untersucht ist dagegen der Abstandsregelautomat ACC (adaptive cruise control), der zusätzlich zur Geschwindigkeitsregelung auch einen sicheren Abstand zu voranfahrenden Fahrzeugen hält. Bei ACC ergeben sich neben positiven Veränderungen im Sinne einer besseren Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auch Hinweise, dass Fahrer langsamer auf Reize in der Umwelt reagieren, die eine Veränderung der Geschwindigkeit notwendig machen (zum Beispiel Geschwindigkeitsbegrenzungen, einsetzender Regen oder Nebel und so weiter). Weiter zeigen diese Studien, dass sich Fahrer mit ACC eher mit Nebenaufgaben beschäftigen, sodass die Spurhaltung verschlechtert wird. Da der Tempomat bei Strecken mit geringem Verkehrsaufkommen ähnlich wie ACC die Geschwindigkeitsregelung übernimmt, liegt die Vermutung nahe, dass sich auch für den Tempomat ähnliche negative Verhaltenswirkungen ergeben könnten. Um dies zu prüfen, wurde im Fahrsimulator des DLR mit Bewegungssimulation eine Studie durchgeführt, in der 11 Tempomat-Nutzer und 11 Novizen jeweils drei Fahrten durchführten, ohne System, mit Tempomat und mit ACC. Bei jeder Fahrt waren zwei Autobahnabschnitte und ein Stück Landstraße zu bewältigen, wobei die Geschwindigkeitsbegrenzungen wechselten, um so die Anpassungsreaktionen der Fahrer untersuchen zu können. Auf der Autobahn wurde ein Stau, auf Landstraße ein Stück mit Nebel eingeführt, um die Reaktionen auf weitere Umweltreize, die eine Anpassung der Geschwindigkeit erfordern, beobachten zu können. Schließlich wurden auf der Autobahn zwei Abschnitte mit Nebenaufgaben (eine visuelle Suchaufgabe) realisiert, um eine mögliche verstärkte Abwendung von der Fahraufgabe zu prüfen. Der Altersdurchschnitt der Fahrer lag bei 38 Jahren. Bei jeder Fahrt wurden das Fahrverhalten und physiologische Reaktionen (Herzrate) aufgezeichnet. Außerdem wurden Befragungen zum Befinden, der Beanspruchung beim Fahren und der Bewertung der Systeme durchgeführt. In den Bedingungen mit Tempomat oder ACC wurden die Probanden instruiert, diese Systeme auch möglichst zu nutzen. Dies führte zu Nutzungshäufigkeiten von ca. 90 % der Fahrtzeit. Insgesamt sind die Ergebnisse für Tempomat und ACC sehr ähnlich. Geschwindigkeitsbegrenzungen werden besser eingehalten. Es werden geringere maximale Geschwindigkeiten erreicht. Auch die Standardabweichung der Geschwindigkeit ist verringert, was zu einem besseren Verbrauch und Verkehrsfluss führen könnte. Die Abstände zu voranfahrenden Fahrzeugen verändern sich durch den Tempomat nicht. Bei ACC ist der Abstand vergrößert, was allerdings durch die spezielle Auslegung begründet sein könnte, die keine Anpassung zuließ. Wenn die Geschwindigkeit aufgrund von Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Nebel reduziert werden musste, erfolgte dies mit Tempomat und ACC um circa 5 Sekunden verzögert. Offensichtlich mussten sich die Fahrer hier erst bewusst machen, dass sie eingreifen müssen und dass die Systeme diese Anpassung nicht leisten. Hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs der Systeme ergaben sich in dieser Studie bei der Bearbeitung von Nebenaufgaben keine deutlichen Hinweise. Weder mit Tempomat noch mit ACC werden mehr Nebenaufgaben bearbeitet. Die negativen Effekte der Nebenaufgaben auf die Spurhaltung sind deutlich, aber in allen Bedingungen zu finden. Der einzige Hinweis auf eine Gefahr liegt darin, dass die Geschwindigkeit bei der Bearbeitung von Nebenaufgaben mit ACC und Tempomat nicht so stark verringert wird wie bei der Fahrt ohne Systeme. Ob dies das Unfallrisiko erhöht, ist mit der vorliegenden Studie nicht zu beantworten. Schließlich beurteilten die Fahrer beide Systeme positiv und waren der Meinung, dass die Fahrt dadurch sicherer und weniger anstrengend wird. Insgesamt führt damit das Fahren mit Tempomat hinsichtlich der mittleren Geschwindigkeit zu Veränderungen des Fahrverhaltens, die eher positiv zu bewerten sind. Auf der anderen Seite zeigen sich wie auch bei ACC Hinweise, dass eine Geschwindigkeitsanpassung mit System deutlich verzögert geschieht, was als vermindertes Situationsbewusstsein interpretiert werden kann. Wünschenswerte Erweiterungen der Funktionalität (zum Beispiel Anpassung an Verkehrszeichen) könnten diesen Effekt noch verstärken. Angesichts dieser Bedenken und der technischen Weiterentwicklungen sind weitere Studien dringend notwendig.
126
Bisher liegt der Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten im Bereich der automatisierten Fahrzeugführung auf generellen Automatisierungseffekten, die implizit einen fahrerfahrenen Fahrer annehmen. Welches Potenzial Fahrerassistenzsysteme und Fahrzeugautomatisierung für Fahrschüler und Fahranfänger während des Kompetenzerwerbs haben, ist bisher nicht ausreichend erforscht. Anhand einer Literaturrecherche und eines Expertenworkshops werden in diesem Bericht Forschungsfragen aus dem Bereich des Fahrkompetenzerwerbs im Kontext zunehmender Fahrzeugautomatisierung erarbeitet. Im Rahmen der Literaturrecherche werden zunächst relevante Begrifflichkeiten aus der Expertise- und Kompetenzforschung definiert (z.B. Experte, Experteneigenschaften) sowie allgemeingültige Modelle zum Expertise- und Kompetenzerwerb aufgeführt. Mit Hilfe dieser Grundlagen wird anschließend der Kompetenzerwerb konkret auf das Autofahren übertragen und der Prozess des Fahrkompetenzerwerbs (z.B. Lernbedingungen während der Fahrausbildung und des darauffolgenden selbstständigen Fahrens, Unfallgeschehen der Fahranfänger) betrachtet. Nach GASSER, SEECK und SMITH (2015) lassen sich Fahrerassistenzsysteme sowie die Stufen der Fahrzeugautomatisierung nach ihrer Wirkweise in drei grundlegende Funktionskategorien einteilen (Funktionen der Wirkweisen A, B und C). Heute verfügbare Systeme werden in diese drei grundlegenden Funktionskategorien eingeordnet. Schließlich werden in diesem Bericht Fahrkompetenz und Wirkweisen zusammengeführt: Für jede Wirkweise werden die bestehenden Anforderungen an den Fahrer und damit verbundene Erkenntnisse zum Erwerb und der Entwicklung von Fahrkompetenz dargestellt. Es stehen als Nutzergruppen die Fahrschüler und die Fahranfänger im Fokus. Als weitere Nutzergruppe werden fahrerfahrene Fahrer berücksichtigt. Der durchgeführte Expertenworkshop diente dazu, eine anwendungsbezogene Ergänzung zur Literaturanalyse zu schaffen. Mit Vertretern der Fahrlehrerverbände, der Forschung und fahrerfahrenen Fahrern wurden Fragen diskutiert, die sich für die Wirkweisen A, B und C im Zusammenhang mit dem Fahrkompetenzerwerb ergeben. Die Befunde der Literaturrecherche werden zusammen mit den Ergebnissen des Expertenworkshops zur Ableitung des Forschungsbedarfs herangezogen. Der Forschungsbedarf wird – strukturiert nach den Wirkweisen – für jede Nutzergruppe dargestellt. Für die Nutzergruppen allgemein (d. h. alle Fahrer) ergibt sich Forschungsbedarf bezüglich der Bestimmung des Trainingsbedarfs zum Erlernen des richtigen Umgangs mit Funktionen der Wirkweisen A bis C sowie der Entwicklung entsprechender Trainingskonzepte (Schwerpunkt: Wirkweise B). Die Entwicklung von Trainingskonzepten zur Deckung dieses Trainingsbedarfs sollte unter Berücksichtigung der Kompetenzen der einzelnen Nutzergruppen erfolgen. Weiterhin sollten in der Forschung zukünftig sowohl der Anforderungswandel an das Aufmerksamkeitsmanagement der Fahrer bei Nutzung von Funktionen der Wirkweise B als auch Veränderungen in der Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern im künftigen Mischverkehr Berücksichtigung finden. Für die Nutzergruppe der Fahrschüler ergibt sich Forschungsbedarf bezüglich der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Fahrausbildungs- und Fahrprüfungsinhalten für Funktionen der Wirkweisen A bis C. Für Funktionen der Wirkweisen A und B (Level 1) zeigt sich ein Potenzial zur Unterstützung des Kompetenzerwerbs beim Fahrenlernen, das zukünftig untersucht werden sollte. Von einem ausschließlichem Gebrauch von Funktionen der Wirkweise B während der Fahrschulausbildung sollte abgesehen werden, da potenziell ein Risiko des Nicht-Erwerbs von Fahrkompetenz besteht. Für die Nutzergruppe der Fahranfänger zeigt sich ein Potenzial zur Unterstützung des nach dem Fahrerlaubniserwerb andauernden Kompetenzerwerbs für Funktionen der Wirkweisen A und B (Level 1), welches zukünftig in der Forschung berücksichtigt werden sollte. Ähnlich wie bei der Gruppe der Fahrschüler besteht auch für Fahranfänger das potenzielle Risiko eines Nicht-Erwerbs von Fahrkompetenz bei ausschließlichem Gebrauch von Funktionen der Wirkweise B. Für die Nutzergruppe der fahrerfahrenen Fahrer ergibt sich zum einen Forschungsbedarf für die Bestimmung des notwendigen Trainingsumfangs für Funktionen der Wirkweisen A und B. Zum anderen sollte zukünftig in der Forschung die Relevanz möglicher Verschlechterungen psychomotorischer Fertigkeiten bei überdauernder Nutzung von Funktionen der Wirkweise B (hauptsächlich Level 2 und 3) berücksichtigt werden.