610 Medizin und Gesundheit
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Bis zum Jahr 2000 erfolgte die Überarbeitung der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung stets als Gesamtwerk, in Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften und herausgegeben von einem Wissenschaftlichen Beirat. Diese Art der Veröffentlichung erwies sich aus verschiedenen Gründen als nicht mehr praktikabel. Von Anwenderseite wurde der Wunsch nach besserer Übersicht geäußert und es hat sich gezeigt, dass mehr Detailinformation erforderlich ist. Es wird auf die zukünftige Gestaltung und Veröffentlichung der Leitlinien eingegangen, die nun die kapitelweise Überarbeitung als Methode der Wahl definieren. Die freie Verfügbarkeit als elektronisches Dokument soll die Verbreitung weiter erhöhen, die Suche nach Begriffen vereinfachen und eine schnellere Aktualisierung ermöglichen. Änderungen bei der Europäischen Führerscheinrichtlinie (Annex III) sowie bei deren Umsetzung in Deutschland (Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung) gingen Überarbeitungen bei verschiedenen Kapiteln der Begutachtungsleitlinien voraus. Schon seit 2009 veröffentlicht ist das überarbeitete Kapitel "Epilepsie". Es wird auf die Änderungen in den Kapiteln Diabetes, Tagesschläfrigkeit, Hörvermögen und Gleichgewicht eingegangen, die als nächste folgen sollen. Für den Abstimmungsprozess mit Bund und Ländern wurde das zukünftige Vorgehen bei Änderungsbedarf abgestimmt. Die Begutachtungsleitlinien sind kostenlos zum Download auf www.bast.de verfügbar, einschließlich ergänzender Informationen.
In der vorliegenden Multicenterstudie wurde eine prospektive Befragung von Verkehrsunfallopfern, die sich zur stationären Behandlung in einem Akutkrankenhaus befanden, durchgeführt. Ziel der Untersuchung war es insbesondere, Informationen zur Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten infolge von Verkehrsunfällen zu gewinnen und Faktoren zu eruieren, die die Entwicklung psychischer Beschwerden im Sinne von Schutz- oder Risikofaktoren beeinflussen. Die Befragung der Verunfallten erfolgte zu drei Messzeitpunkten: Beginn der stationären Behandlung (T1, n=226), bei Entlassung aus der Klinik (T2, n=20) und sechs bis zwölf Monate nach dem Unfall (T3, n=189; T1+T3, n=160). Die Datenerhebung erfolgte mittels Interview, Fragebogen und Auszügen aus der Patientenakte. Prävalenz psychischer Auffälligkeiten: In der untersuchten Stichprobe ergibt sich eine Auffälligkeitsrate von etwa 25%: Jedes vierte Unfallopfer leidet unter ernstzunehmenden psychischen Beschwerden (Angst oder Depression oder PTBS). Bei dem Großteil der Betroffenen sind die psychischen Symptome persistierend. Patientinnen und Patienten mit psychischen Vorbelastungen sind besonders häufig betroffen. Risiko- und Schutzfaktoren: Hinsichtlich der untersuchten prätraumatischen Faktoren (allgemeinen Zufriedenheit, aktuellen und vorangegangenen Belastungen; Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen; soziale Unterstützung) scheint der Großteil der Patientinnen und Patienten gute Voraussetzungen mitzubringen, um den erlebten Verkehrsunfall psychisch gut zu bewältigen. Ein jeweils kleinerer Anteil erlangt in den angewandten Testverfahren jedoch auffällige Werte. Diese Unfallopfer sind als Risikopatientinnen und -patienten anzusehen, d.h. die Wahrscheinlichkeit, infolge des Unfalls psychisch zu erkranken, ist bei ihnen erhöht. Als besonders bedeutsam scheinen hierbei aktuelle und frühere Belastungen, geringe internale und hohe externale Kontrollüberzeugungen sowie eine Abnahme der erlebten sozialen Unterstützung im Laufe des Jahres nach dem Unfall zu sein. Als peritraumatische Faktoren wurden die Rahmenbedingungen des Unfalls und das Erleben des Unfallgeschehens sowie peritraumatische Dissoziation und Belastung erhoben. In der Zusammenschau der Ergebnisse kristallisiert sich ein Befund als wesentlich heraus, dem in vorherigen Untersuchungen noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Das Erleben von Hilflosigkeit während des Unfallgeschehens scheint bei der Entwicklung psychischer Auffälligkeiten eine zentrale Rolle zu spielen. Als posttraumatische Faktoren wurden u.a. Informationen zur Initialsymptomatik, der Verletzungsschwere, dem Behandlungsverlauf sowie der Krankheitsverarbeitung untersucht. In Einklang mit früheren Studien leiden Verunglückte mit einer auffälligen Initialsymptomatik (T1) ein Jahr nach dem Unfall (T3) signifikant häufiger unter ernstzunehmenden psychischen Beschwerden als Unfallofer, die zu T1 einen unauffälligen psychischen Befund haben. Die Verletzungsschwere, die Lokalisation der Verletzung und Behandlungsparameter scheinen im Hinblick auf die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten hingegen keine Rolle zu spielen. Hinsichtlich der individuellen Krankheitsverarbeitung scheint ein depressiver Copingstil eher mit psychischen Beschwerden assoziiert zu sein als ein aktives problemorientieres Coping bzw. eine Krankheitsverarbeitung im Sinne von Ablenkung und Selbstaufbau. Vorhersage psychischer Auffälligkeiten: Es wurde eine binäre logistische Regression zur Vorhersage psychischer Auffälligkeiten (T3) durchgeführt. Drei der 12 Prädiktoren erweisen sich als signifikant: psychische Auffälligkeit zu T1, Verschlechterung der erlebten sozialen Unterstützung innerhalb des Follow-up-Zeitraums und psychische Vorbelastung (Psychotherapie innerhalb der letzten zwei Jahre oder psychische Vorerkrankung). Als Fazit kann aus den Studienergebnissen gezogen werden: - Ernstzunehmende psychische Beschwerden infolge von schweren Straßenverkehrsunfällen sind häufig. Es können Risikofaktoren benannt werden, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, infolge eines Unfalls psychisch zu erkranken: Vorliegen einer psychischen Initialsymptomatik, Erleben einer Verschlechterung der sozialen Unterstützung in den Monaten nach dem Unfall und/oder Bestehen einer psychischen Vorbelastung. - Die Relevanz weiterer Risikofaktoren (z.B. Hilflosigkeitsgefühle während des Unfallgeschehens) bedarf vertiefender Untersuchungen. Hieraus leitet sich ein Handlungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen ab. Zum Einen stehen die behandelnden Krankenhäuser in der Verantwortung, gefährdete Patientinnen und Patienten frühzeitig zu identifizieren und geeignete (präventive) Maßnahmen anzubieten. Zum Anderen besteht die Aufgabe im Rahmen der Verkehrssicherheitsarbeit die Thematik weiter publik zu machen und vertiefende Forschung zu unterstützen.