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Einfluss von Notbremssystemen auf die Entwicklung von Lkw-Auffahrunfällen auf Bundesautobahnen
(2021)
Auf deutschen Bundesautobahnen kommt es immer wieder zu schweren Auffahrunfällen, die von Güterkraftfahrzeugen oder Bussen verursacht werden. Moderne Notbremsassistenzsysteme (AEBS), wie sie schon seit vielen Jahren in Personenkraftwagen verbaut werden, haben das Potenzial, eine große Anzahl dieser Unfälle vollständig zu vermeiden oder die Unfallfolgen abzumildern. Daher hat die Europäische Kommission mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 347/2012 in einem zweistufigen Verfahren die pflichtmäßige Ausstattung von Güterkraftfahrzeugen (GKfz) und Bussen mit einem Notbremssystem vorgeschrieben.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Auswirkungen des Inkrafttretens der Verordnung hinsichtlich des Unfallgeschehen auf Bundesautobahnen zu untersuchen bzw. den Maßnahmeneffekt der Einführung von Notbremssystemen zu ermitteln. Die Grundlage der Auswertungen bilden die Einzeldaten der amtlichen Straßenverkehrsunfallstatistik für die Jahre 2009 bis 2018 und ergänzende fahrzeugtechnische Angaben des Kraftfahrtbundesamtes. Letztere Angaben liegen nur für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge vor, wodurch sich der Untersuchungsbereich auf eben diese Fahrzeuge beschränkte. Die Verordnung gilt für die Fahrzeugklassen M2, M3, N2 und N3, beinhaltet jedoch einige Ausnahmen. Für die Auswertung wurden die Fahrzeugklassen, für die das AEBS verpflichtend ist, daher mithilfe der Verkehrsbeteiligungsart in den Unfalldaten abgegrenzt. Auf diese Weise wurden neun Verkehrsbeteiligungsarten den Güterkraftfahrzeugen zugeordnet und eine Verkehrsbeteiligungsart den Bussen.
Notbremsassistenzsysteme dienen vornehmlich der Vermeidung von Auffahrunfällen, sodass zunächst ausgehend von Unfalltyp und Unfallart das Unfallszenario Auffahrunfall abgegrenzt wurde. Ergänzend wurden zwei weitere Unfallszenarien gebildet, nämlich die Spurverlassen-Unfälle und die anderen Unfälle. Untersucht wurden Unfälle mit Personenschaden und schwerwiegende Unfälle mit Sachschaden im engeren Sinne, die von Güterkraftfahrzeugen und Bussen auf Bundesautobahnen verursacht wurden.
Innerhalb der Gruppe der als GKfz bzw. Busse abgegrenzten Fahrzeuge nahm die Anzahl der Unfälle im Zeitraum von 2009 bis 2018 um 6,5 % leicht zu. Die Unfallzahlen entwickelten sich jedoch besser, je jünger die Fahrzeuge waren. Fahrzeuge mit einem Alter von weniger als fünf Jahren wiesen rückläufige Unfallzahlen auf. Während die Anzahl der Spurverlassen-Unfälle und der anderen Unfälle konstant bis leicht rückläufig war, stieg die Gesamtzahl der Auffahrunfälle mit einem Zuwachs von 21 % deutlich an.
Der Bestand von Lkw und Zugmaschinen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 8 t nahm in den Jahren 2012 bis 2018 zu, wobei insbesondere der Bestand älterer Fahrzeuge angewachsen ist. Die Unfallrate blieb hingegen nahezu konstant, während die Unfallbelastung im gleichen Zeitraum um 11,7 % gesunken ist.
Der Gesamteffekt der Maßnahme, welcher angibt, wie stark sich die Unfallzahlen von Güterkraftfahrzeugen und Bussen vom Vor- zum Analysezeitraum durch Notbremssysteme insgesamt reduziert haben, wurde mithilfe von Odds Ratios ermittelt. Neben der Untersuchungsgruppe wurden drei Vergleichsgruppen definiert, sodass der Gesamteffekt aus den einzelnen Veränderungen aller vier Gruppen vom Vor- zum Analysezeitraum bestimmt werden konnte. Die Vergleichsgruppen wurden so definiert, dass sie von der Maßnahme nicht betroffen waren. Der Gesamteffekt (Maßnahmeneffekt) beläuft sich auf 37 % und ist signifikant. Aufgrund der sehr trennscharfen Eingrenzung der Untersuchungsgruppe auf Fahrzeuge, die sicher mit AEBS ausgestattet sind, und auf Auffahrunfälle, auf deren Vermeidung AEBS bestimmungsgemäß abzielt, ist ein Effekt von 37 % in Bezug auf seine Größenordnung durchaus zu erwarten. Die Wirkung der ersten Stufe der EU-Verordnung mit noch verhältnismäßig geringen Anforderungen wird mit dem ermittelten Gesamteffekt vermutlich etwas überschätzt, da sich unter den Fahrzeugen mit AEBS auch solche befinden, die bereits vorzeitig das geforderte Leistungsvermögen der zweiten Stufe der EU-Verordnung erfüllen, und auch solche, die in Bezug auf ihr Leistungsvermögen freiwillig noch weiter darüber hinausgehen.4
Außerdem wurde untersucht, ob neben den Unfallzahlen auch eine Veränderung der Verletzungsschwere verzeichnet werden kann. Es konnte ein deutlicher Rückgang der Zahl der Schwerverletzten vom Vor- zum Analysezeitraum beim Vergleich von Untersuchungsgruppe und der ersten Vergleichsgruppe festgestellt werden.
Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass durch die verpflichtende Ausstattung von Güterkraftfahrzeugen und Bussen mit einem Notbremssystem nicht nur die Unfallzahlen deutlich reduziert, sondern auch die Unfallschwere der verbleibenden Unfälle abgemildert wurde. Ungeachtet dessen zeigt die Analyse auch, dass trotz AEBS nach wie vor eine große Zahl nicht vermiedener Auffahrunfälle zu verzeichnen ist und hier somit weitere Schritte zur Verbesserung der Verkehrssicherheit von schweren Güterkraftfahrzeugen und Bussen erforderlich sind.