1. Teil: Technische Fragestellung und Tragweite
Der vorliegende Forschungsbericht widmet sich der Grundlagenschaffung zu einer Risikobewertung automatisierter Fahrfunktionen entsprechend ihrer Klassifizierung (Gasser et al., 2012, BASt) und Wirkweise (Gasser, Auerswald, 2016, BASt) im Kontext des Überführens in einen sogenannten risikominimalen Zustand. Nach einer Einteilung und Gruppierung von Fahrerassistenzsystemen unter Berücksichtigung kognitiver Kategorisierung und Wirkweise wurden die Wirkweise A „Informierende und warnende Systeme“, welche mittelbar (mediat, indirekt) über den Fahrer auf die Fahrzeugsteuerung wirken, die damit verbunden Risikopotentiale und Dilemmata charakterisiert. Im Rahmen der Wirkweise B „kontinuierlich automatisierte Funktionen“, gekennzeichnet durch automatisch agierende Systeme, die unmittelbar (immediate, direkt) auf die Fahrzeugsteuerung wirken, wurden insbesondere für die Automatisierungsstufen „Teilautomatisiert“, „Hochautomatisiert“ und „Vollautomatisiert“ Funktionale Sicherheitsarchitekturen einschließlich Zustandsdiagramme entwickelt und bewertet.4.1 (Handbook Emission Factors for Road Transport).
Im Kontext der Wirkweise C „in unfallgeneigten Situationen temporär intervenierende Funktionen“, charakterisiert durch autonom intervenierende Systeme, welche ebenfalls unmittelbar auf die Fahrzeugsteuerung wirken, wurden mögliche Risikopotentiale von Not- und Gefahrenbremssystemen und Bremsausweichassistenten dargestellt. Ausführlich wird in diesem Zusammenhang der medizinisch indizierte Nothalteassistent bewertet.
Für die Fahrstreifenwechselmanöver vom Fahrstreifen von links nach rechts und vice versa (Sonderfall) wurden aufgrund einer Booleschen Modellbildung entsprechende Module definiert und mittels der Booleschen Algebra formal beschrieben.
2. Teil: Rechtliche Fragestellungen
Der rechtlichen Beurteilung der Überführung von Fahrzeugen verschiedener Automatisierungsstufen in den risikominimalen Zustand lagen zwei Grundszenarien zugrunde: das Halten auf dem Fahrstreifen und das Halten auf dem Seitenstreifen einschließlich des erforderlichen Fahrstreifenwechsels auf einer Autobahn. Unter Berücksichtigung der Einordnung der Überführungssysteme in die Wirkweise C erfolgt eine Begutachtung aus der Perspektive des Produkthaftungsrechts, der straßenverkehrsrechtlichen Halterhaftung, dem Zulassungsrecht und der Verantwortlichkeit des Fahrzeugführers.
Motorradfahrer zählen zu den besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmern. Trotzdem werden – im Gegensatz zu Systemen wie ABS und Traktionskontrolle – Assistenzsysteme wie die automatische Notbremse bislang nicht im Zweiradbereich eingesetzt. Grund hierfür ist unter anderem die motorradspezifische Fahrdynamik, die z. B. durch instabiles Systemverhalten besondere Herausforderungen für die Umsetzung solcher Systeme bietet. Ziel des Projekts FE 82.0661/2015 „Automatische Notbremssysteme für Motorräder“ war es, die Grenzen zu ermitteln, innerhalb derer ein Einsatz entsprechender Systeme im Motorrad möglich ist. Neben den fahrdynamischen Grenzen zählen hierzu auch Grenzen, die der Fahrer der Anwendbarkeit setzt. Als integraler Bestandteil des Fahrer-Fahrzeug-Systems muss er in der Lage sein einen Eingriff eines Notbremssystems zu kontrollieren, da es sonst zur Destabilisierung des Fahrzeugs bis hin zum Sturz kommen kann. Zunächst wurde in einer Expertenstudie untersucht, welche Verzögerungen Normalfahrern zugemutet werden können. Die Experten waren Fahrlehrer und -trainer, die besonders geeignet sind, die Fähigkeiten ungeübter Fahrer einzuschätzen. Mit der Erkenntnis, welche Verzögerungen Normalfahrern zuzumuten sind, wurde anschließend eine Probandenstudie durchgeführt, in der untersucht wurde, inwiefern verschiedene Arten von Eingriffen geeignet sind, den Fahrer in einer Notbremssituation zu unterstützen und welche Verbesserung damit im Vergleich zu durch den Fahrer selbst durchgeführten Notbremsmanövern erzielt wird. Die Realfahrversuche mit Probanden fanden ausschließlich in Geradeausfahrt mit voller Konzentration auf die Fahraufgabe statt. Um zu untersuchen, wie sich Notbremsmanöver in anderen Situationen (z. B. ein- oder freihändige Fahrt) auswirken, wurde zusätzlich eine Studie auf dem dynamischen Motorrad-Fahrsimulator des Würzburger Instituts für Verkehrswissenschaften durchgeführt (WIVW). Hier wurde zudem der Einfluss von Warnelementen untersucht. Die Studien zeigen, dass durch den Einsatz geeigneter automatischer Bremseingriffe bereits nahezu die Hälfte der Ausgangsgeschwindigkeit abgebaut werden kann, bevor der Fahrer selbst überhaupt eingreift. Die Simulatorversuche zeigen außerdem, dass eine Warnung vor dem automatischen Bremseingriff die Fahrerreaktion positiv beeinflusst.