Verbesserte Unfallrekonstruktion durch zusätzliche Anknüpfungstatsachen und KI
- Die Rekonstruktion von Verkehrsunfällen ist ein zeitaufwändiger Prozess, der so objektiv wie möglich verlaufen sollte. Die Unfallrekonstruktion ist von den verfügbaren Informationsquellen, sich daraus ergebenden Anknüpfungstatsachen sowie dem Erfahrungsschatz des Rekonstrukteurs abhängig. Das Forschungsprojekt untersucht auf Basis von Daten der German In-Depth Accident Study (GIDAS), welche Verbesserungen der GIDAS- Unfallrekonstruktion durch Erhebung zusätzlicher Anknüpfungstatsachen zu erwarten sind und ob die Unfallrekonstruktion durch Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) optimiert werden kann. Zunächst wurde das Vorgehen in der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen im Rahmen des GIDAS- Projektes analysiert. In Abhängigkeit der derzeit verfügbaren Informationsquellen wurden sieben verschiedene Rekonstruktionsvarianten gefunden, für die während der Projektlaufzeit Beispielfälle von erfahrenen GIDAS-Rekonstrukteuren bearbeitet wurden. Diese Fälle bildeten die Basis für eine spätere KI-Potenzialabschätzung. Die Untersuchung derzeit in GIDAS standardmäßig erhobener Informationsquellen und der sich daraus ergebenden Anknüpfungstatsachen ergab, dass aktuell für die Bestimmung von etwa der Hälfte der bisherigen Anknüpfungstatsachen nur eine Informationsquelle vorhanden ist. Unter Einbeziehung neuer Informationsquellen, die zur Verbesserung der Rekonstruktion analysiert wurden, konnte dieser Anteil auf ein Viertel reduziert werden. Anhand der drei beispielhaft gewählten neuen Informationsquellen Event Data Recorder (EDR), Reibwertschätzung (NIRA-Board (NIRA dynamics, 2022)) und Videos von Verkehrsüberwachungskameras wurde für exemplarische Verkehrsunfälle eine Abschätzung des Mehrwertes der zusätzlichen Erhebung dieser neuen Informationsquellen durchgeführt. Im Ergebnis ermöglichen neue Informationsquellen schon vorhandene GIDAS-Kodierungen zu präzisieren oder sogar vorher unbekannte Parameter zu erfassen. Die derzeit in GIDAS verwendeten Variablen für Toleranzangaben im Rekonstruktionsprozess und ihre Verwendungshäufigkeit waren Teil einer weiteren Analyse. Darauf aufbauend wurde die Genauigkeit der Angabe von rekonstruierten Bewegungsparametern untersucht und für einen Teil der im Projektzeitraum rekonstruierten Unfälle der relative Fehler der Kodierungen für Geschwindigkeitswerte in den verschiedenen Phasen eines Unfalls analysiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass Geschwindigkeitsangaben der In-Crash-Phase bei Auslaufbeginn die größten relativen Fehler haben. Die Analysen zum derzeitigen GIDAS- Rekonstruktionsprozess wurden mit einer Befragung von Rekonstrukteuren abgeschlossen, durch die subjektive Beurteilungsfehler im Rekonstruktionsprozess herausgearbeitet wurden. Zwischen den rekonstruierenden Personen ergaben sich teilweise große Unterschiede in der Variablenbestimmung. Ein GIDAS-Teildatensatz von 1837 Pkw-Pkw- Unfällen ermöglichte grundlegende Betrachtungen für die Prüfung, ob die Verkehrsunfallrekonstruktion durch KI-Methoden effizienter und mit weniger Toleranzen behaftet durchgeführt werden kann. Fünf verschiedene Modelle des maschinellen Lernens wurden trainiert und evaluiert. Bei der Anwendung auf einen GIDAS-Testdatensatz zeigte sich, dass das CatBoost-Modell die höchste Vorhersagegenauigkeit für die Parameter Ausgangsgeschwindigkeit v0, Kollisionsgeschwindigkeit vk, vektorielle Geschwindigkeitsdifferenz delta-v und den Energy-Equivalent-Speed (EES) hatte. Dass KI-Anwendungen einen potenziellen Nutzen für die Unfallrekonstruktion haben, wurde durch Ergebnisse für zwanzig Beteiligte der im Projektzeitraum rekonstruierten Pkw-Pkw-Unfälle deutlich. Bei zwölf beteiligten Pkw (60%) weist die Vorhersage der Ausgangsgeschwindigkeit eine Abweichung von maximal 20% zum vom Rekonstrukteur festgelegten Wert auf; vier Beteiligte (20%) haben maximal nur 10% Abweichung. Die vorhergesagte Ausgangsgeschwindigkeit liegt für fünf Beteiligte (25%) innerhalb des vom Rekonstrukteur angegebenen Toleranzbereichs, der für diese Beteiligten Abweichungen bis zu 20% zulässt. Bei der Arbeit mit den KI-Modellen wurden Schwächen deutlich, deren Ursprung in der relativ kleinen Trainingsdatenmenge vermutet wird. Die entstandenen KI-Modelle sind daher als Ausgangspunkt für den iterativen Prozess der Implementierung und Integration von KI in der Unfallrekonstruktion einzuordnen.
- Traffic accident reconstruction is a time-consuming process that needs to be pursued as objectively as possible. The accident reconstruction depends on the available sources of information, their resulting connecting facts, and the reconstructionist’s wealth of experience. Using data from the German In-Depth Accident Study (GIDAS), the research project analyzes which improvements can be expected by interrogating additional sources of information and whether artificial intelligence (AI) allows for optimizing accident reconstruction. First, current accident reconstruction procedures performed as part of the GIDAS project were studied. Seven different reconstruction methods were defined depending on the availability of current sources of information, and multiple example cases were processed by experienced GIDAS reconstructionists for each of these methods during the project duration. These cases also provided the basis for the subsequent estimation of their AI potential. The standard sources of information currently collected during GIDAS data acquisition were documented and their resulting connecting facts examined. Approximately half of those connecting facts are based on only one specific source of information. This proportion was reduced to approximately a quarter by integrating new sources of information. Using three new sources of information as examples (Event Data Recorder (EDR), estimation of the coefficient of friction (NIRA-Board (NIRA dynamics, 2022)) and recordings from traffic enforcement cameras), it was possible to evaluate the added value of accessing additional sources of information during traffic accident reconstruction for example cases. As a result, new sources of information allowed to define already existing GIDAS data more precisely or even capture previously unknown parameters. GIDAS variables that define the uncertainty of parameters during the reconstruction process as well as their respective usage frequencies were analyzed. Based on this, the accuracy of reconstruction parameters describing vehicle motion were studied. Data from example cases were used to calculate the relative error of speed values depending on accident phases. As a result, speed values of the in-crash-phase at vehicle separation have the highest relative error. The analyses of the current reconstruction methods were completed by interviewing multiple reconstructionists with regard to subjective considerations during variable assessment. The importance assigned to parameters for variable assessment varied widely between different reconstructionists. A dataset of 1837 vehicle-to-vehicle GIDAS collisions allowed the assessment whether accident reconstruction can be performed more efficiently and with reduced uncertainty using AI methods. For this process five different machine learning algorithms were developed, trained, and evaluated. After the models were applied to a GIDAS test dataset, the CatBoost-model proved to have the highest prediction accuracy for the parameters initial speed, collision speed, change in velocity (delta-v) and energy equivalent speed (EES). Analysis of the example cases using the AI algorithms showed that AI can be beneficial for accident reconstruction. The predicted initial speed by the AI algorithm diverged by only 20% for twelve collision participants and 10% for four collision vehicles, respectively. The predicted initial speed for five collision participants (25%) was within the same margin of uncertainty as determined by a reconstructionist. The application of AI algorithms showed some limitations, most likely due to the small number of cases within the training dataset. The generated AI algorithms should thus be regarded as a starting point for the future iterative process of implementing and integrating AI into traffic accident reconstruction.
Author: | Pascal Breitlauch, Christian T. Erbsmehl, Simon Schramm, Martin Urban, Alexander Hauck, Erik Sinen, Mike Espig, Christian Walter, Michael Jänsch |
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URN: | urn:nbn:de:hbz:opus-bast-30698 |
DOI: | https://doi.org/10.60850/bericht-f160 |
ISBN: | 978-3-95606-820-1 |
ISSN: | 0943-9307 |
Title Additional (English): | Improved Accident reconstruction through additional connecting facts and AI |
Series (Serial Number): | Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe F: Fahrzeugtechnik (160) |
Publisher: | Fachverlag NW in der Carl Ed. Schünemann KG |
Place of publication: | Bremen |
Document Type: | Book |
Language: | German |
Date of Publication (online): | 2025/01/06 |
Date of first publication: | 2025/01/22 |
Publishing institution: | Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) |
Release Date: | 2025/01/22 |
Tag: | GIDAS; Künstliche Intelliganz; Unfall; Verkehrssicherheit Accident; Artificial intelligence; GIDAS; Road safety |
Number of pages: | 117 |
Comment: | Projekt-Nr.: 82.0765 Projekttitel: Verbesserung der Unfallrekonstruktion in GIDAS durch Erhebung zusätzlicher Anknüpfungstatsachen und durch Nutzung künstlicher Intelligenz Fachbetreuung: Patrick Seiniger Referat: Aktive Fahrzeugsicherheit und Fahrerassistenzsysteme |
Institutes: | Abteilung Fahrzeugtechnik |
Dewey Decimal Classification: | 6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 62 Ingenieurwissenschaften / 620 Ingenieurwissenschaften und zugeordnete Tätigkeiten |
Licence (German): | ![]() |