Ableitung von Anforderungen an Fahrerassistenzsysteme aus Sicht der Verkehrssicherheit

Drawing up requirements for driver assistance systems from the perspective of traffic safety

  • Ziel der Studie, die im Auftrag der BASt durchgeführt und zusätzlich vom Land Niedersachsen gefördert wurde, ist es, Über In-Depth-Analysen von Unfalldaten der Braunschweiger Polizei aus dem Jahr 2002 Anforderungen an Fahrerassistenzsysteme (FAS) abzuleiten und den Sicherheitsgewinn abzuschätzen, den die Einführung derartiger Systeme mit sich bringen würde. Bei den In-Depth-Analysen wurden aufgrund der Unfallprotokolle die dem Unfall vorausgehenden Fehlhandlungen und ihre Ursachen analysiert. Fehlhandlungen sind die Handlungen, die zum Unfall geführt haben. Diese müsste ein FAS korrigieren, um den Unfall zu verhindern, sodass diese Analyse Anforderungen an die Funktionalität des FAS ergibt (zum Beispiel Wahl einer sicheren Geschwindigkeit). Die Analyse der Ursachen der Fehlhandlung erfolgte in Anlehnung eines Informationsverarbeitungsmodells des menschlichen Handelns und ergibt Hinweise auf die Eingriffsstrategie des FAS. Liegt die Ursache zum Beispiel in fehlender Wahrnehmung vorhandener Information, so kann eine Warnung den Unfall verhindern. Bei einer Fehlentscheidung ist eine aktive Unterstützung durch ein FAS notwendig. Weiter wurden Fehlinterpretationen und Ausführungsfehler betrachtet. Datenbasis sind 4.258 Unfallprotokolle aus Braun-schweig aus dem Jahr 2002 und 185.004 Unfälle aus Deutschland, die als 50%-Stichprobe der amtlichen Unfallstatistik des Jahres 2002 vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt wurde. In beiden Datenquellen wurden die Unfälle ausgewählt, bei denen der Verursacher ein Pkw und der Fahrer (so weit bekannt) mindestens 18 Jahre alt war. Die schweren Unfälle aus Braunschweig (993 Unfälle) wurden so gewichtet, dass sie hinsichtlich Unfalltyp, Wochentag und Tageszeit mit den bundesdeutschen Unfällen vergleichbar sind. Bei den In-Depth-Analysen wurden für 6 Unfalltypen und pro Unfalltypen für die häufigsten Untertypen die Protokolle im Hinblick auf Fehlhandlung und Ursache analysiert und gruppiert. Eine stichprobenartige Überprüfung der Beurteilerübereinstimmung erwies sich als sehr zufrieden stellend (Spearman rho = 0.91). Die Analyse zeigt drei große Gruppen von Unfällen, aus denen sich drei Arten von Unterstützungsbedarf ableiten lassen. Bei den Einbiegen/ Kreuzen-Unfällen werden andere Verkehrsteilnehmer aus unterschiedlichen Gründen bei der Planung vernachlässigt, was als fehlende Wahrnehmung vorhandener Informationen zu beschreiben ist. Seltener spielen Fehlentscheidungen eine Rolle. Um diese Unfälle zu verhindern, wird eine Kreuzungsassistenz benötigt, die bevorrechtigte Fahrzeuge von rechts, links oder entgegenkommend und von rechts kommende Radfahrer beim rechts Abbiegen erkennen kann. Durch eine Kreuzungsassistenz, die vor diesen Fahrzeugen warnt, ließen sich 26,2 % aller schweren Unfälle verhindern. Bei Fahrunfällen steht die Fehlanpassung der Geschwindigkeit an den Straßenzustand, an den Fahrerzustand und an die eigene Leistungsfähigkeit im Vordergrund, was als Fehlentscheidung zu beschreiben ist. Teilweise kommt die Vernachlässigung der Querführung ohne besonderen Grund hinzu (fehlende Wahrnehmung). Eine situationsabhängige aktive Unterstützung der Geschwindigkeitsregulation mit zusätzlicher Unterstützung der Querführung könnte insgesamt 20,4 % aller schweren Unfälle verhindern. Auffahren tritt vor allem bei Unfällen im Längsverkehr, aber auch einer Reihe anderer Unfalltypen auf. Hier ist ein System zur Kollisionsvermeidung mit situationsabhängiger Regelung von Abstand und Geschwindigkeit notwendig, das auch stehende Fahrzeuge erkennen kann und das Bremsen bei plötzlichen Eingriffen unterstützt. Würde das System diese Anforderungen erfüllen, könnten damit 17,5 % aller schweren Unfälle verhindert werden. Da die häufigsten Ursachen der Fehlhandlung im Bereich von Fehlentscheidungen liegen, ist dazu allerdings eine aktive Unterstützung der Geschwindigkeitshaltung notwendig. Insgesamt ergibt sich aus den Analysen ein sehr großes Unfallvermeidungspotenzial für FAS im Bereich über 70 % aller schweren Unfälle. Allerdings sind die Anforderungen an diese Systeme groß. So müssen sie im Kreuzungsbereich bevorrechtigte Fahrzeuge aus allen Richtungen erkennen, außerdem Situationsmerkmale wie Straßenzustand, Hindernisse auf der Fahrbahn und Merkmale des Fahrers wie zum Beispiel einen eingeschränkten Fahrerzustand berücksichtigen. Teilweise ist eine aktive Unterstützung oder ein Eingriff notwendig, was rechtliche und Akzeptanzprobleme mit sich bringt. Mit der dargestellten Methode der In-Depth-Unfallanalyse aufgrund von Unfallprotokollen ist insgesamt eine Abschätzung des Sicherheitspotenzials von Assistenzsystemen möglich, wobei die Aussagen vorsichtig zu interpretieren sind.
  • The objective of the research, assigned by BASt and additionally promoted by the state of Lower Saxony, is, to draw up requirements for driver assistance systems (FAS) using the In-Depth-Analyses of accident data of the police in Braunschweig from the year 2002 and to estimate the advantages for safety that the introduction of such systems would provide. The false actions preceding the accident and their causes were analysed in the In-Depth-Analyses based on the accident forms. False actions are actions that lead to accidents. An FAS would have to correct these to prevent the accident, so that this analysis results in requirements to functionality (e.g. selection of a safe speed). The analysis of the causes of the false actions took place in accordance with an information processing model of human behaviour and provides references to the intervention strategy of the FAS. lf the cause is, for example, a lack of perception of existing information, a warning can prevent the accident. In the case of a false decision, active support from an FAS is necessary. False interpretations and errors in execution were also observed. The database for this project are 4,258 accident forms from Braunschweig from the year 2002 and 185,004 accidents in Germany that were made available by the Federal Office for Statistics as a 50% random sample of the official accident statistics of the year 2002. Accidents were selected from both data sources where the party responsible for the accident was a car and the driver (when known) was at least 18 years old. The serious accidents in Braunschweig (993 accidents) were ranked in such a way that they could be compared with the accidents in the rest of Germany with respect to the type of accident, day of the week and time of day. The accident forms were analysed and put into groups in the In-Depth-Analyses for 6 types of accident and for the most frequent sub-types with respect to false actions and causes. Agreements amongst assessors was checked in a process similar to random sampling and proved to be very satisfactory (Spearman rho = 0.91). The analysis shows three large groups of accidents from which three types of need for support can be derived. In the case of accidents occurring when turning or crossing, other road users are neglected during planning for various reasons, which can be described as a lack of perception of existing information. Seldom do false decisions play a role. Assistance while crossing, that can recognise vehicles that have priority from the right, the left or are oncoming and cyclists coming from the right, is required to prevent these accidents. 21,2 % of all serious accidents could be prevented by assistance while crossing that warns people about these vehicles. In the case of accidents while driving, lack of adaptation of speed to the road conditions, to the state of the driver and to ones own performance is predominant and can be described as a false decision. It is partly the neglect of horizontal steering without any reason (lack of perception) that adds to this. Active support of speed regulations dependent on the situation with additional support of horizontal steering could prevent 20.4% of all serious accidents. Tailgating occurs in longitudinal traffic in particular, but also in a series of other accident types. A system of avoiding collisions with regulation of intervals and speeds dependent on the situation is necessary here, that can also recognise stationary vehicles and that supports braking in the case of sudden interventions. If the System were to fulfil these requirements, 32.5% of all serious accidents could be prevented. Since the most frequent causes for false actions He in the area of false decisions, active support of speed maintenance is required for this purpose. On the whole the analysis shows that there is much potential for avoiding accidents using FAS in the range above 70% of all serious accidents. However, there are immense demands to these systems. They have to recognise all vehicles that have priority coming from all directions in the area of the crossing, as well as characteristics of the situation such as the state of the road, obstacles on the carriageway and characteristics of the driver such as an impaired state. Active support on intervention is partly required, which results in legal problems or problems of acceptance. Using the method of in-depth analysis of accidents based on accident forms an estimate of the potential for safety of assistance systems is possible, on the whole, however, the statements must be interpreted with caution.

Volltext Dateien herunterladen

Metadaten exportieren

Weitere Dienste

Teilen auf Twitter Suche bei Google Scholar
Metadaten
Verfasserangaben:Mark Vollrath, Susanne Briest, Caroline Schießl, Jörn Drewes, Uwe Becker
URN:urn:nbn:de:hbz:opus-bast-2379
ISBN:978-3-86509-551-0
Schriftenreihe (Bandnummer):Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe F: Fahrzeugtechnik (60)
Dokumentart:Buch (Monographie)
Sprache:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):07.10.2011
Jahr der Erstveröffentlichung:2006
Beteiligte Körperschaft:Institut für Verkehrsführung und Fahrzeugsteuerung <Braunschweig>
Datum der Freischaltung:07.10.2011
Freies Schlagwort / Tag:Bewertung; Deutschland; Elektronische Fahrhilfe; Entscheidungsprozess; Fahrzeugabstand; FahrzeugfÃ-¼hrung; Forschungsbericht; Geschwindigkeit; Menschlicher Faktor; Sicherheit; Unfall; UnfallverhÃ-¼tung; Ursache; Wahrnehmung
Accident; Accident Prevention; Cause; Decision Process; Driving (veh); Electronic Driving Aid ; Evaluation; Germany; Human factor; Perception; Research report; Safety; Speed; Vehicle spacing
Bemerkung:
Weitere beteiligte Körperschaft: Institut für Verkehrssicherheit und Automatisierungstechnik, Technische Universität Braunschweig
DDC-Klassifikation:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 62 Ingenieurwissenschaften / 620 Ingenieurwissenschaften und zugeordnete Tätigkeiten
collections:BASt-Beiträge / ITRD Sachgebiete / 83 Unfall und Mensch

$Rev: 13581 $